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Dr. phil. Sandra Dörrenbächer: De la méconnaissance… Imaginäre Stabilisierung des Körpersinns durch spiegelbildliche Verkennung

Abstract

Die vorliegende Studie untersucht Störungen der multisensorischen Körper- und Selbstrepräsentation bei neurologischen Erkrankungen und deren affektive Dimension im Versuch einer Verbindung psychoanalytischer und neuropsychologischer Konzepte. Unsere Wahrnehmung der Welt ist in ein fortlaufendes, überwiegend unbewusst koordiniertes Zusammenspiel multisensorischer Signale eingebunden, die in einer dynamischen Körpermatrix integriert und auf das Selbst bezogen werden (Riva, 2018). Affektive Prozesse übernehmen dabei eine zentrale Funktion in der Bewertung und Sinngebung „innerer Zustände“ (Goetzmann, 2024). In Anlehnung an Freud („the ego is ultimately derived from bodily sensations, chiefly from those springing from the surface of the body”, 1923/1927, S. 26) wird Selbstentwicklung als sinnlich fundierter Prozess verstanden. Anzieu (1996) fasst in seinem Konzept des „Haut-Ich“ die Haut als „psychische Hülle“, die durch frühe sensorisch-affektive Erfahrungen, insbesondere Berührung, geprägt ist und die Fähigkeit des Ichs zum Halten von Affekten und einer Abgrenzung des Innen zum Außen ermöglicht. Brenner (2022) erweitert diese Perspektive, indem er die Haut als Modalität des Freud’schen Triebes („dermic drive“) konzipiert, deren Funktion auch darin besteht, psychische Repräsentationen in einen Modus der Trennung einzuschreiben und so topologische Räume des Körperselbst zu strukturieren. Störungen dieser Haut-Funktionen, wie sie bei neurologischen Erkrankungen auftreten können, führen zu „psychischer Verwerfung“, zu Brüchen im Dialog zwischen Körper und Repräsentanz, und äußern sich unter anderem in Missempfindungen, Fremdheitsgefühlen bis hin zur Selbst-Alienation. Neuropsychologische Spiegelinterventionen setzen an diesen Verstörungen an, indem sie widersprüchliche sensorische Signale durch visuelle Selbstrepräsentationen auszugleichen suchen. Im Sinne Lacans kann das Spiegelbild auch als imaginäres Angebot von Ganzheit verstanden werden, das eine produktive Verkennung („méconnaissance“) ermöglicht und fragmentiertes Körpererleben an symbolische Bedeutungsstrukturen rückbindet. Am Beispiel einer klinischen Fallstudie wird gezeigt, wie eine Spiegelintervention korrigierend auf die multisensorische Körperintegration (Körpermatrix) und imaginär stabilisierend auf die affektive Körper- und Selbstrepräsentation wirkt.


Referent:innen

Dr. phil. Sandra Dörrenbächer (Saarbrücken)


Kosten

Diese Veranstaltungen sind kostenfrei.


Anmeldung

Die Anmeldung erfolgt via Email bei Prof. Dr. Lutz Götzmann: goetzmann@ippk.de


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20. Januar

Lacan lesen: Die Kehrseite der Psychoanalyse. Seminar XVII.

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5. Februar

Jackson Gatlin Crawford & Madeleine Roger-Lacan: Imagining lust and loneliness